Denkschrift
Meine Amtsenthebung ein Werk
der NSDAP.
Einleitung
Wie die ganze
Kulturwelt so steht auch das Oldenburger Land im Bann des Urteils, das in
Nürnberg über die NSDAP gesprochen und an einigen der prominenten Hauptführer
schaurig vollstruckt worden ist. Nach langen objektiv geführten Verhandlungen,
in deren Verlauf die
Angeklagten
und ihre Verteidiger jeden erdenklichen Entlastungsgrund vorbrachten, ist das
wahre Wesen des Nationalsozialismus vor der Weltöffentlichkeit mit erschreckender
Klarheit offen gelegt worden. Das deutsche Volk müßte dankbar sein, daß der
dichte, dunkle und
propagandistische
Vorhang hochgezogen und nun jeder, der guten Willens ist, die Wirklichkeit der
NSDAP, ihr schreckliches Tun und Treiben klar erkennen kann. Bevor die NSDAP in
einzelnen Ländern Deutschlands und im Reich an die Macht gekommen war, hat der nationalistische,
bombastische Lügengeist in weiten Kreisen des Volkes sein alles zerstörendes
Unwesen gehabt.
Die direkten
Opfer der NSDAP sind heute größtenteils bekannt, doch die indirekten
zahlreichen Opfer nach und vor 1933 werden der breiten Oeffentlichkeit meistens
unbekamt bleiben. Bei meiner Amtsenthehung, die am 19. Oktober 1931 verfügt
wurde, haben Nazis, Nazimethoden und Nazigeist eine entscheidende Rolle
gespielt, wie die weiteren Darlegungen zeigen werden.
1. Das Ammerland, eine Hochburg der NSDAP.
Aus „Das
Ammerland — ein Heimatbuch“, Westerstede 1940, sei folgendes wörtlich
angeführt: Seite 91: 1928 wurde in Edewecht die erste nationalistische Ortsgruppe
gegründet. In rascher Folge folgten weiter Ortsgruppen-Gründungen. Das Ammerland
war vom Nationalsozialismus erobert. Schon bei der Reichstagswahl vom September
1930 erhielt die NSDAP hinsichtlich der
Stimmenzahl im
Amtsbezirk Westerstede weitaus die absolute Mehrheit, bei der Landtagswahl im
Mai 1932 bereits eine' glatte vierfünftel Mehrheit".
Seite 205: „Am
23. März 1930 konnten sämtliche am erlindischen Ortsgruppen zum Bezirk
Ammerland der NSDAP zusammengeschlossen werden. In diese Zeit fällt auch die
Gründung der SA".
Seite 206:
·„Das Jahr 1931 war das Jahr der großen Ernte. Die Landtagswahl am 17. 5. 1931
brachte auf dem Ammerland von 11980 Stimmen 8880 für die NSDAP. „lmmer mehr
Ortsgruppen wurden gegründet, die Mitgliederzahl stieg von Tag zu Tag, die SA
erhielt gewaltigen Zuwachs, die ammerländische SS und Hitlerjugend wurden gegründet.
Jeder Tag brachte neue Arbeit. Die Bewegung war in Fluß, in diesen Tagen wurde
das Ammerland zur Hochburg des Nationalsozialismus.“ „Die Reichstagswahl im März und April 1932
und die am 29. 5. 1932 stattgefundene Landtagswahl, durch die der Freistaat
Oldenburg der erste rein nationalsozialistische Staat im deutschen Reich wurde.
bewiesen, daß das Ammerland an diesem Erfolg ein gutes Anteil hatte, gehörten doch
von insgesamt 13559 abgegebenen Stimmen der NSDAP hier allein 11256; Bei den
späteren Wahlen stieg das Verhältnis noch - die Bevölkerung wählte nationalsozialistisch!"
2. Allgemeine Ursache der Finanznot der Gemeinde
Nach dem
verlorenen Krieg 1914/18 brach für die Gemeinden in Stadt und Land eine sehr
schwere Zeit an. Der völlige militärische politische und wirtschaftliche Zusammenbruch
in Verbindung mit ungeheuren Reparationsleistungen in Sachwerten und Gold,
führte in die bis dahin größte Inflation der Weltgeschichte. Die Folgen waren:
große Allgemeine Unzufriedenheit und Ratlosigkeit, das sich in widersinniger
Parteizersplitterung am besten widerspiegelt. Nach Einführung der Rentenmark,
die ihren Sicherheitsfaktor in der Belastung von Industrie und, Landwirtschaft
hatte, durchlebten wir größte Geldknappheit, wodurch erhebliche Schwierigkeiten
in Reich, Staat und Gemeinden entstanden. Die Jahres-Budgets konnten nicht
ausgeglichen werden. Viele Städte und Gemeinden mussten In- oder
Auslandanleihen aufnehmen. Bei der zunehmenden Erwerbslosigkeit stiegen die
sozialen” Aufwendungen sprunghaft in die Höhe. Das Reich führte eine rigorose
Finanzreform durch. Die Gemeinden wurden dadurch Kostgänger des Reiches. Die
wenigen ¤ eigenen Einnahmequellen waren völlig unzureichend. * ' In diese Zeit
fällt die Freilassung Hitlers, des Hochverräters aus der Festungshaft. Das neue
Evangelium· Hitlers: “Mein Kampf", wurde in Millionen Exemplaren unter das
Volk geworfen. Für sein “unabänderliches Programm" wurde jetzt in Wort und
Schrift, in Stadt und Land mit einer bis dahin nicht gekannten raffinierten und
skrupellosen Propaganda geworben. Jede staatliche Verwaltung und Ordnung wurde
unterminiert, und dem Volke, ja, jedem, alles versprochen.
3. Sekundäre Ursache der Finanznot der Gemeinden
Von 1924/25 an
verbreitete sich die furchtbare Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland
...stetig —-größerem--. Schwierigkeiten in Handel und Industrie, in
Landwirtschaft und Gemeindemauslöste. In erschreckender Weise stieg die Zahl der
Erwerbslosenz die allgemeine Kaufkraft sank rapide. Radikale Elemente von rechts
und links suchten mit allen Mitteln die Volksmassen Aufputschen. Erinnert sei an
den Kommunistenputsch in der Gemeinde Apen von Oktober 1923. Das ’Aufputschen
der ‘ . Bevölkerung ging soweit, dass, der Landbund in öffentlichen
Versammlungen Steuerverweigerung diskutierte. Bei notwendigen Steuerexekutionen
wurde die schwarze Fahne hochgezogen und breite Massen des ‘Volkes
demonstrierten bei diesen Anlässen. Disziplin und Ordnung. gegenüber Staat und
Gemeinden waren stark gefährdet. Diese lange anhaltenden Zeitverhältnisse sind
in erheblichem Maße die Ursachen des finanziellen Zusammen‘ Bruchs der
Gemeinden.
4. Der Dämon der Zeit
Die allgemeine
Not des Volkes, besonders der Arbeiter und der Schar der sozial Bedürftigen
stieg von Tag zu Tag, von Monat zu Monat. Nur die reinen Agrargemeinden konnten
finanziell sich halten. Die Gemeinden mit ‚lndustriebevölkerung wurden durch
Sozial- und Wohlfahrtslasten finanziell völlig in Unordnung gebracht. “Die
Oldenburgische Verwaltungsreform" gibt für die Finanzlage der Gemeinden
nach dem Stande vom 15. November ,1932 folgende Statistik: “Gemeinde Apen:
Einwohnerzahl 5656, Fürsorge insgesamt 148 8(H RM, auf 1 Einwohner 26,31 RM. —
Voraussichtlicher Fehlbetrag: 108 000 RM, ‘ hiervon aus den Vorfahren 52650 RM,
Fehlbetrag am ' 15. November 1932 120 400 RM. Nichtbeglichene Forderungen:
Kassenkredite 40 000, Gehälter 12 000, Zinsen ’und näbträge 16 boo, nicht
eingelöste_Warengutscheine 11. 500, Rechnungen 11200, Amtsverbandsumlagenr
13700 und Sonstiges 16 000 RM. Eine Anzahl Gemeinden hatten noch größere
finanzielle Schwierigkeiten im Oldenburger Lande. Und erst die großen und
kleinen Industriegemeinden im Reich!
5 . Im diesem
Milieu grünte und blilhte der inrsich hohle und dtirre Prcpagandastab Hitlers
und trug tausendlältige ' · Früchte in der schwülen Treibhausluft hetzerischcr
und‘ Gerneinden. Bei einer solchen
Gele¢enheit. und aus busbnderem Anlaß habe ich uis Referent und Wortführcr auf
einer Tagung über die Bczuschussung des Staates zu den Lehrergehältcm Auf Grund
mir vorliegenden authentischen Materials über Beordnung und Regelung dieser
Frage in den deutschen Staaten in der Hitze gies Gefechtes geglaubt, erklären
zu könnén:·”d¤ß, wenn die Presseberichte über die letzte Landtagssitzung
betreiis des Staatszuschusses zur Lehrerbesoldung richtig wiedergegeben seien,
dér Minister den Landtag irrig informiert haben müsse, Eine spätere mündliche
Besprechung mit dem Minister brachte keine völlige Aufklärung des wirklichen
Sachverhultcs. Im Vorstaude und auf Tagungen des Deutschen Landgemeiudctages in
Berlin ist oft, wie auch in der kommu’ nalen Presse, die Frxge der Schullasten
eingehend diskutiert worden, Ebenso wurden von hier aus wiederholt Eingaben und
Proteste an Reichstag und Läuclerregierungen gemacht. Die Finauznoi der
Gemeinden stieg unauf‘ haltsam. Finanzminister Popitz. wie auch Reichs- und .
Landtagsabgeurdxxete mußten die unbeiricäigende gesetzliche‘ Beordmmg des
Finanzausgieichs zugeben ·- aber die finanziellen Verpflichtungen des Reiches
seien vordxiuglicher. ’ ' 7. Keine geordnete Rechuungsiührung ' Der verstorbene
Gemeindevorsteher Gustav Tantzcm Einswarden, hat auf dem Oldenburger
Gameindetag unter ' Zustimmung aller; Teilnehmer erklärt: “Die Einarxziellcn
Verhältnisse i.¤ den Gemeinden sind heute su verwurrcn, daß wir
Gemeindevorsteher ständig mit einem Fuß im Gefängnis stehen. Der Ausspruch-
Tantzens beleuchtet die Situation, in der die Gemeinden in jener Zeit sich
befunden. Wenn dann eine Gemeinde noch einen Rech. uungslührer hat., der
Unfähigkeit und Gleichgültigkeit miteinander verkörpert, wie es tatsächlich in
der Gcmeinde Apeu der Fall war, dann o wehe dem Gemeindevcrsteherl Die
Unfähigkeit des.Recb¤ungs[ührers war in der Gemeinde allgemein bekannt, im
Finmzausschuß und im Gemeinderat ist meinerseits wiederholt beantragt, die
Stelle mit einer fähigen und tüchtigen Kraft zu besetzen. Ebenso habe ich
angeregt, die Gemeinderechnungsführung durch einen beeideten Bücherrevisor
nachprüfen zu las„en. Leider fand ich keine Zustimmung. So· kam es, daß rch zur
Selbsthilfe schritt. Ich kaufte eine Registriermaschine, die in drei Jahren
hätte bezahlt werden können, Aber welche Opposition wurde hiermit ausgeiöstl
Jetzt einige Beispiele für vieic.·Endlich, nach befristeter Aufforderung, legte
der Rechnuugsführer eine Steuerrestautenliste vor. 32 000 RM Rückstände wurden
darin ausgewiesen. Die Unrichtigkeit stellte sich bei der ersten Prüfung durch
den Finanzausschuß klar heraus. Bei der späteren genauen Feststellung ergab
sich, daß etwa 16 000 RM an Steuern vom Rechnungsiührer einge¤om~ men und nicht
verbucht worden waren. Ein gleiches Bild ergab sich, als der Gemeindediener mit
dem Rechnungsführer die Rückstände für die Berufsgenossenschaft Oldenburger
Landwirte einholen wollten. Die meisten Pflichtigen kcmuten ihre vom
Rechuungslührer unterschrieben; Quittung vorlegeni Es liegt auf der Hand, daß
diese Feststellungen auch dem Gemeinderat die Augen hätten öffnen können. Jetzt
hütte der Gemeinderat ein; greifen müssen, dcch_nein. der Mann kannte auf
seinem Posten verbleiben, und zwar, wie sich später ergab, als Mittel, um den.
Gemcindcvorsleher zu beseitigen. _ Hier sei erwiihnt, daß die Gemeinde mehrere
Jahre hindurch in wechselnder Höhe Eür‘20 000 RM uubezahlte Rechnungen
mltauhleppen mußte. Es dürfte völlig klar sein. daß unter solchen Verhältnissen
die Jahresrechnungen nicht ordnungsmäßig abgeschlossen werden konnten. Der
Recimungstührer war dazu auch nicht iähig. Als ein besunders unwürdiger Zustand
wurde es empfunden, daß die geringen Bezüge der Erwerhslcnseu und die dcr
sozial Bedürltigen der Gemeinde, weil kein Bargeld vorhanden war, in “Bons"
entrichtet werden mußten. Die Kaufleute wurden widerwillig Bunkhalter der
Gemeinde. Diese Notmaßnahme erwies sich als ein starkes Nazi-Barometer gegen
den Gemeindevursteher. ‘ Die Nationalsozialisten, die in der Gemeinde schon
einen beachtlichen Prozentsatz an direkten und indirek Jten Anhänger hatten,
wie auch die Kommunisten erklärtcn ganz offen: ,.Wir haben an dem Wohlergehen,
an der Existenz der Gemeinde kein Interesse. Das war das Auspizium der
Gemeinde! 8. Ein verhängnisvoller Prolog zu meiner Dienstenthebung In dieser so
kritischen Zeit bildete sich im Ort Apen ein Zusammenschluß von Personen rnit
dem Ziel. eine Molkerei zu gründen. Aus der Konkursmasse der Siems— schen
Fleischwarenfabrik wurden die Fabrikgcbäude käuflich erworben. Der Umbau der
Gebäude und die Einrichtung sollten nur 70 000 RM kosten. Ich setzte mich mit
den Molkereiabteilungen der Universitäten Kicl und Bonn in Verbindung. Von hier
erhielt ich die Mitteilung, daß allein die vollständige Einrichtung etwa 350
bis 400 000 RM kosten könnte. Nach dieser Information habe ich erklärt: “daß
unter diesen Umständen das Molkereiprojekt ein totgeborenes Kind werden
könnte." Jetzt wurde ich zum Gegner des Projektes gestempelt. Ich war kein
Gegner, hatte mich nur gegen das lcichtfertige Geschwätz von den geringen Kosten
gewendet.~Der Ruf ertönte: “Der Gemeindevorsteher muß beseitigt werden, weil er
gegen eine Molkerei ist." Der Ortssusschuß von Apen und vier oder fünf
Gemeinderatsmitglieder bliesen die Posaune überlaut. ” ” tsache ist, daß nur
die Zwangsmaßnahmen, die die N„,CP. durcbführte, z. B. Ablieferung der Milch
durch alle Bauem in der Gemeinde Apen an die Aper Molkerei, den Bankrott
verhindert hat, wie die beiden ersten Jahresbilanzen ausgewiesen haben. Meine
Voraussage betreffs der Gnlindungskosten wurden ebenfalls als richtig
ausgewiesen. 9. Und keiner war‘s gewesen! ‘ Bis Mai 1933 war ich Vertreter der
Gemeinde A en im Amtsvorstand, Amtsrat, Verwaltungsgericht und lf)orsitzender
des Amts-Wohl!ahrtsausschusses. Somit hatte ich Gelegenheit, mit den führenden Personen
des Ammerlandes zusammen zu kommen. In dieser Zeit wurde Amtshauptmann Ott nach
Nordenham versetzt. Im Frühjahr 1932 erklärte mir Ott, nicht er sei der
Schuldige_ an meiner Amtsenthebung, sondern der Gemeinderat, da derselbe mich
habe regreßpflichtig machen wollen, das er verhindert habe. Hierauf habe ich'
erwidert: “I·Ierr Amtshauptmann, da haben Sie mir einen sehr schlechten Dienst
erwiesen, Aber es lag ganz in Ihrem Interesse, daß die Sache nicht vor eine
neutrale Instanz kam. V···i Anfang an haben Sie versucht, mich gegen meine f en
im engeren und weiteren Kreise hermetisch abzu en. Ihr Tun konnte das Licht
objektiver Kritik nic t vertragen." Was Goethe sagt: .,Ihr lasset den
Armen schuldig werden, dann übergeht ihr ihn der Pei¤",_ trifft auf Ott,
den Nazianhänger, tatsächlich zu. I Der Gemeinderat entzbg sich unter Fühmng
Otts durch seine Beschlußfassung vom 28. April 1931 der gesetzlich ihm
obliegenden Verantwortung, sprach mich schuldig ohne jede Untersuchung, ohne
vorher eine ernste Klar- · legung der Gesamtverhältnisse mit dem Beschuldigten
anzustreben, geschweige durchzuführen. Hier hat der Leiter der Sitzung vom 28.
4, 1931 völlig versagt, ja, es schien Ott mit enugtuung zu erfüllen, als die
große öffentliche Versammlung [last lauter Nationalsozialisten] mit Gelächter
und Halotria die Berichte von drei Gemeinderatsmitgliedern anhörten über
Prüfung der Gemeinde-, Schul- ·und Armenrechnungen. In einer Vorberatung bei
Barre in Augustfehn hatte man die einzelnen Rollen verteilL Die ganze Sitzung
war Komödie unter Leitung des Herrn Amtshauptmann Ott. “Pflicht"oder “wunsch"gen·iäß
beschloß der Gemeinderat das Verfahren gegen mich nach Art. 99 5 3 einzuleiten,
Ich selbst_ habe diese Sitzung, diese ekelhafte Komödie, verlassen und ging
nach Hause. In einer Bücherbesprechung habe ich gelesen, daß jemand über die
heneidenswerte Fähigkeit verfügt haben soll, nämlich das Vermögen, die
Qualitäten eines noch unaufgeschnittenen Buches auf den bloßen Geruch hin zu
beurteilen. So ähnlich wurde ich schuldig gesprochen. _ 10. „Es ist die größte Lust des Lebens, ande
des Lebens zu erleichtera." Paul Kellrsi-,dh Last Mil Recht könnte man
annehmen, daß wo der Dcktrinarismus und der Idealismus des Nationalsozialismus
als . trügerische Wahnidee. als propagandistische Mystik klar erwiesen sind,
die nüchterne Vernunft, sowie Recht- und Gerechtigkeitssinn wieder allgemein
zur Geltung kommen würden. Doch der Nazigeist, der seit 1924 in steigendem Maße
in Deutschland umging, schwebt nicht nur über dem Volke, sondern sitzt tief in
den Herzen des Volkes. I.eider beherrschen frühere Pgs und waschechte Kon- _
}unkturritter~ noch vielfach die politische Situation. Meine Eingabe an den
Gemeinderat vom 18. März { 1946 sollte dem Gemeinderat die Gelegenheit bieten,
den ßeschämenden Beschluß vom 28. April 1931 zu überprüfen. Der heutige
Zeitabstand hätte eine ruhige und sachliche Ueberprillung wie Beurteilung
ermöglicht. Bemerkt muß werden, daß in dem emannten Gemeinderat über die Hälfte
aus iungen Mitgliedern besteht, die die Verhältnisse von damals nur vom
Hörensagjen her kennen konnten, und zudem die erste Sitzung erle ten, als meine
Eingabe vorlag. Außer dem Gemeindedirektor und dem Bürgermeister waren nur 2
oder'3 Mitglieder, welche die Sitzung vom 28. 4. 1931 mit erlebt hatten. Eine
Verlesung meiner Eingabe ist nicht erfolgt. Ohne Verhandlung wurde folgender
Beschluß, der offensichtlich vorher fertig gestellt war, vom Gemeinderat
gebilligt: “Die Gemeindevertretung hat in ihrer Sitzung vom 1. April (l) 1946
zu Ihrem Antrag Stellung [7) genommen: Die Ehre ist Ihnen _ niemals vom
Gemeinderat abgeschnitten worden. Es ist festgestellt [wo und wann?) worden,
daß die aufsichtführende Behörde, das Kreisamt Westerstede, dieses damals
vertreten durch Amtshauptmann Ott und das Staats- · „ ministerium [nach der
Aussage des. damaligen Ministers { Dr, Willers ist das Staatsministeriumanit
meiner . Dienstenthebung nie befaßt worden) nach eingehenden Revisionen Ihnen
die Fähigkeit als Verwaltungsfachmann aberkannt hat. Die jetzige Gemeindevertretung
sieht sich mit Rücksicht auf die damals seitens des —— Staats- ; ministeriums
—·- verfügte Amtsenthebung nicht veranlaßt, L Ihrem Antrag stattzugeben."
Meyer. ‘ Unbegreifiich ist, daß die Eingabe nicht verlesen, nicht beraten
worden ist. Eine solche,.dilettai1tischer Behandlung ist nur zu erklären; mit
Unfähigkeit in demokrati- . schen Prinzipien, Angelegenheiten der Gemeinde zu
crledigen, oder aber der Nazigeist hat die Situation inspiriert. Nachdem der
Gemeindedirektor meine Eingabe in meiner Gegenwart gelesen, erklärte er: “Die
Eingabe ist in Ordnung" (entspricht den Tatsachen) und: “s0etwas wurmt
einen auch." ‘ i 11. Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewaltl V
[Erlkönig] Kurz vor der Entscheidung durch Minister Driver wurde mir durch
Rechtsanwalt Holl) e mitgeteilt: “wenn ich freiwillig auf mein Amt verzichte,
würde das Ministerium der Gemeinde Apen aufgeben, mir bis Abe lauf meiner
Wahlzeit — Juni 1935 —— monatlich 300 RM. Gehalt zu zahlen." Für mich war
die Angelegenheiticine ·Ehrensache und nicht eine Brotfragez daher,lehnte ich ‘
dieses verfängliche Angebot entschieden ab. ‘ 'Bei Beginn der Affäre hatte der
Untersuchungsrichtez; Ott mir eine Dienstverzichterklärung vorgelegt, die zu
unterschreiben ich entschieden ablehnte. Hierbei erklärte ich Ott gegenüber: “1ch
erwarte eine gründliche und ohjektive Untersuchung: wo ich schuldig wire._würde
ich mich schuldig bekennen, desgleichen erwartete ich aber auch, wo ich nicht
schuldig wäre, daß dies ebenso offen erklärt wiirdc." Leider bin ich
hierin gründlich enttäuscht worden. Man muß sich fragen: “Warum machte das.
Ministerium solch verloclrendes Angeb0t?" Doch nur, die Untersucliung war
abgeschlossen,. weil der· Befund zur , Dienstenthebung nicht ausreichte und ich
doch beseitigt werden sollte. Das ist die Konsequenz! Der Artikel 99 § 3 der
Oldbg. G. O. mußte herhalten. um meine Dienstentlassung auszusprechen. Der
Paragraph _ lautet: “Beamte, sowie Hilfsbeamte und Diener der Gemeinden. welche
sich. unwürdig oder pflichtvergessen erweisen oder durch eigene grobe
Verschuldung zur Wahr· nehmung ihres Dienstes so unfähig geworden sind,
daß ihr Verbleihen mit dem Zwecke, der
Ordnung und dem Ansehen des Dienstes unerträglich ist, können auf Antrag oder
mit Zustimmung der betreffenden Kqmmunalvertretung vom Staatsministerium ihres
Dienstes enthoben werden." Erwähnt sei. daß der Artikel 99 § 3 in ganz
Deutschland keine analoge Bestimmung enthält. In gleich gearteten Fällen kommt
das Zivilstaatsdienergesetz in Anwendung, ein Dienstgericht entscheidet in
ordentlichem Gerichtsverfahren. Es liegt auf der Hand, daß der Begriff * “pflichtvergessen"
so oder Enders dehnbar ist. Da der Artikel 99 5 3 ein Ausnahmegesetz ist, mußte
erwartet werden, daß die Anwendung streng nach dem Buchstaben und dem Geist des
Gcsetzes durchgeführt werde. Z. B. die Entscheidung liegt beim Gesamtkabinctt.
Alle drei Minister hätten meine Dienstenthebung unterzeichnen müssen. Es genügt
nicht, daß man Papier für die Entscheidung benutzt, auf dem links oben der
Aufdruck “Staatsministerium" stand. Der damalige 'Minister Dr. Willers hat
mir gegenüber in Zeugengegenwart in meiner Wohnung erklärt: “Das
Staatsministerium ist mit 'Ihrer Dienstenthebung nie befaßt worden." Auf
meine Entgegnung: “Dann hat Minister Dr. Driver allein die Entscheidung getroffen,"
entgegnete Willers: “Ja". 12. Meine Amtsenthebnng eine Vorfrucht der
NSDAP. Die Entscheidung hält sich fast ausschließlich in ihrer , zgründung an
den von Amtshauptmann Ott dem ‘Mini· nrterium eingereichten
Untersuchungsbericht. Dieser Bericht ist ein Konglomerat von Unwahrheit,
Entstellungen und Verdächtigungen, gemischt mit Tatsachen, die unnormale
Verhältnisse als normale behandelt. Es ist ein Meisterstück, eine Dissertation,
die geschickt mit List, Freundlichkeit, Drohen und Betuschen in der Untersuchung
zusammengeschweißt war. Bedauerlich muß es nein, daß diese ganz in Nazimethoden
und Nazigeist geführte Arbeit kein Doktordiplom dem Autofeingebracbt hat. Im
Gegenteil, denn nachdem ich im “Ammerländer" die Entscheidung über meine
Amtsenthebung veröffentlicht hatte, ist tt vom scbönen_Westerstede, nicht
zuletzt unter dem Druck der öffentlichen Meinung nach v Nordenham versetzt
worden. Die 'ganze Behandlung des Falles, sowie die einzelnen Vorknmmisse,
erinnerten mich an den Roman: “Das harte Geschlecht" von W. Vesper; der
Dichter hat Thema und Einzelmotiv dem isländischen Sagas entnommen. Die straffe
und eindringlich erzählte Geschichte von Fuchs dem Listigen, einem isländischen
Bauernsohn. der seine Gaben so gut zu gebrauchen weiß. daß er durch Klugheit
und findigcn Sinn allen seinen Gegnern überlegen ist. Ott wußte den Gemeinderat
gefügig und dienstbar zu machen. Nachdem durch einzelne itgliederf durch
Naziflüsterpropaganda — ich sollte große Unterschlagungen begangen haben — die
Volksstimmung genügend aufgeputseht wu, konnte die Ge-' · nieinderatssitzung
vom 28. 4. 1931 •tattfinden._Der Gemeinderat stellte in öffentlicher Sitzung
den gewünschten —Antrag nach Art. 99 § 3 der G. O. _ . _ } t3. Der Buchstabe tötet, der Geist macht
lebendig In dem Resumé der Entscheidung werden die Paragraphen aufgeführt gegen
die verstoßen sein soll. Gewiß lagen Verstöße gegen die Gemeindeordnung vor. Es
ist offensichtlich, daß Bestimmungen. die für normale Verhältnisse gegeben
sind. in Notzeiten dem Buchstaben nach nicht eingehalten werden konnten. Dann
ist es wohl nicht angänggg, den Gemeindevorsteher für die Pflichtvergessen eil
und Unfähigkeit des Gerneinderechnungsführers verantwortlich machen zu wollen.
Besonders nicht, wenn der Gemeinderat wußte, daß der Mann 'Hie Unordnung in der
Finanzverwaltung allein verschuldet hatte. Meinem Antrag,_ diesen Posten mit
einem, geeigneten Mann zu besetzen. hat die Gemeindeverwaltung nicht
stattgegeben. Selbst in dem mvsteriösen Dokument wird ausgeführt: “Die Gemeinde
Apen befindet sich seit mehreren Jahren in sehr schwierigen
Finanzverhältnissen, Vorschläge für eine Sanierung konnten bisher nicht gemacht
werden, weil sichere Unterlagen für den Stand der Finanzen nicht
vorlagen/" Femer heißt es in der Entscheidung; .”lnsbesondere ist die
Bestimmung des Art. 32 Ziff 5 G. O. unbeachtet geblieben, nach welcher der
Gemeindevorstand die Einkünfte der Gemeinde zu verwalten, die auf den
Voranschlag oder besonderen Beschlüssen der Gemeindeverwaltung beruhenden
Einnahmen und_Ausgaben anzuweisen und das Kassen- und Rechnungswesen zu
überwachen hat. Die Mißstände auf diesem Gebiete, das die Grundlage für das
Bestehen jeder Gemeinde bedeutet, sind in der Hauptsache darauf zurückzuführen,
daß Kallckuhl es unterlassen hat. sich selbst und der Gemeindevertretung eine
klare Uebersicht zu verschaffen und den Gemeinderechnungsführer, der
pflichtvergessen _ und für dieses Amt unfähig war, ordnungsmäßig zu
überwachen". Die Kardinalursache
ist richtig erkannt, doch 5lie' Folgerungen verkerinen 'die Schwierigkeiten
einer Ueber·' wacbung des komplizierten Rechnunäswesens einer größeren Gemeinde
und dann in solchen eitenl Man beachte das von mir in Abschnitt 7 Dargelegte,
Man konnte nicht_ bestreiten, daß meinerseits alles getan worden ist.·um · die
verworrenen Verhältnisse aufzuklären bezw. ihnen ein Ende zu bereiten. Nach
demokrgtischen Grundsätzen kann der Gemeindevorsteber den Rechnuugsfühier weder
'einstellen noch entlassen und 'nur eine Personaländerung hätte hier helfen
können. ’ ' . „ Tatsache bleibt, daß in jener Zeit der Hochkonjunktur
des-Nationalsozialismus eine Buchstabenpolitik tausende Gemeindevorsteher mit
gleichen Beschuldigungen und gleichen Begründungen in Deutschlandhätte ihres
Amtes entheben können, wie es . auch nach '1933 geschehen ls!. Unbestritten
steht fest: ngeine Amtsenthebung am‘ 19. Oktober 1931 — ein halbes Jahr vor der
‘ Machtergreifung der NSDAP. lm Freistaat Oldenburg —A war ein Werk der NSDAP.
· ' Ernst Kalkkuhl, Gemeindevorsteher a. D.
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